Wie die Wichtelmänner über die Wondreb fuhren

Tief drinnen im Tillenwald, wo die Tannen am dichtesten stehen, hauste seit urdenklichen Zeiten das Volk der Zwerge mit ihrem König. Dem menschlichen Auge unsichtbar trieben die emsigen Wichtel zur Winters- und zur Sommerszeit ihr Wesen und manch einsamer Wanderer konnte sich auf eine Wohltat, die ihm im Wald widerfahren war, keinen Reim machen.

Da geschah es von heute auf morgen, daß die guten Zwerge Lust verspürten, sich irgendwo in den weiten Wäldern der Umgegend eine neue Heimat zu suchen. Wer oder was mag sie wohl zu diesem Entschluß getrieben haben?

Sie warteten sehnsüchtig eine mondhelle Nacht ab, dann verließen sie ihr trautes Plätzchen am Tillen-Berg und wanderten nordwärts, allen voran der König der Zwerge. Das war ein Trippeln und Trappeln von tausend kleinen Füßen und die Mützchen flogen nur so hin und her. Mit einemmal versperrte ihnen ein Hindernis den Weg und sie standen wie angewurzelt. Es war die Wondreb, die sich zwischen den Dörflein Pograt und Schöba dahinschlängelte und große Wassermassen mit sich führte. Unschlüssig und ratsuchend blickten die Zwerglein zum anderen Ufer. Da faßte sich der Zwergenkönig ein Herz, nahm sichtbare Gestalt an und suchte nach einem Fährmann. Etwas oberhalb des Flusses traf er auf einen Schiffer, der dort seinen Dienst versah. „Fährmann, hol’ über,“ rief der Wichtel in die Stille der Nacht und er bat den Erstaunten, das größte Fahrzeug für die Überfahrt zu nehmen. In Anbetracht des kleinen Männleins kam dies dem Schiffer seltsam vor, doch tat er nach seinem Wunsche und hieß es einsteigen.

Der Fahrgast hatte es gar nicht eilig in den Kahn zu kommen und sah bald nach links, bald nach rechts, als ob er etwas suche. Nachdem er ein letztes Mal in die Runde geschaut hatte stieg er endlich ein. „Ihr braucht euch nicht zu fürchten“, meinte etwas spöttisch der Fährmann, „ich habe schon größere und schwerere Leute hinübergefahren.“ Der König der Zwerge tat so, als hätte er es nicht gehört und die Überfahrt begann.

Jetzt war es der Schiffer, der seinen Augen nicht traute, als er den großen Tiefgang seines Fahrzeugs bemerkte. Hatte er nicht ein winziges Männlein geladen, das kaum größer war als eine Elle? Er schielte verstohlen zum Zwergen und dann auf seinen Kahn und so sehr er auch nachdachte, er konnte das Rätsel nicht ergründen.

Bald hatten sie das jenseitige Ufer erreicht und der Zwerg ließ sich wiederum viel Zeit und zögerte mit dem Aussteigen. Er fing an, in seinen Manteltaschen nach etwas zu suchen und kehrte dabei das Unterste zu Oberst. „Ihr habt gewiß kein Fahrgeld bei euch!“, herrschte ihn der Fährmann an. Doch jener erwiderte: „Ich will nicht eher aussteigen bis ich meine Schuld beglichen habe. Was bekommt ihr?“ „Gebt mir einen Groschen, das ist der übliche Preis“ meinte der Schiffer. Der Zwergenkönig reichte ihm das Geldstück mit den Worten: „Nehmt mit Dank.“ Dann fügte er hinzu: „‚Wißt ihr denn, wen ihr über die Wondreb gebracht habt? Ihr könnt euch selbst davon überzeugen, wenn ich eure Augen berühren darf.“ Der Schiffer war neugierig geworden und bückte sich ganz tief hinab, wobei ihm der Zwerg mit seinen Fingerchen an die Augen tippte. Was bekam er da zu sehen: Im Mondlicht standen viele, viele Zwerglein am Wondrebufer und lachten ihn an, aber nur für einen Augenblick, dann waren sie — husch – verschwunden und niemand hat sie je wieder gesehen.

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