Vor 125 Jahren wurde die NaturFreunde-Bewegung gegründet
Vom „Berg frei“ zum „Welt frei“ – ein Beitrag von Manfred Pils, Präsident der NaturFreunde Internationale (NFI)
22.03.2020
Vom 22. bis zum 24. März 1895 ließ Georg Schmiedl eine Annonce in der Wiener Arbeiter-Zeitung schalten: „Naturfreunde werden zur Gründung einer touristischen Gruppe eingeladen.“ Der Grundschullehrer wusste damals nicht, dass er damit auch schon den Namen der neuen Bewegung formuliert hatte, die am 16. September 1895 in Wien im Gasthof Zum goldenen Luchsen offiziell gegründet werden sollte.
Schmiedl war damals schon Mitglied eines „großen österreichischen Touristenvereins“, wie er 1920 in der Zeitschrift Naturfreund bekannte. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Kaufmann Simon Katz, ging er regelmäßig wandern, ebenfalls mit seinen Schülern, um in ihnen „die Liebe zur Natur und das Interesse für ihre mannigfachen Erscheinungen […] zu erwecken.“
Auf ihren Wanderungen im Wienerwald trafen sie nur wenige Arbeiter. Wien war damals mit 1,7 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt in Europa und erlebte einen Bauboom. Es war Gründerzeit, aus allen Teilen der Monarchie wanderten Arbeitskräfte zu.
In Walraff-Manier berichtet der Armenarzt Viktor Adler in der sozialistischen Gleichheit, wie etwa die Ziegelarbeiter vegetierten: Sie lebten auf dem Firmengelände, schliefen in den Ziegelöfen, erhielten als Lohn nur „Blechgeld“, welches sie in den firmeneigenen Geschäften ausgeben mussten und das Verlassen des Werksgeländes war verboten. Schmiedl nannte dieses Proletariat „Arbeitstiere“.
Doch nicht nur den Ziegelarbeitern ging es schlecht: Die Arbeitszeit der meisten Arbeiter betrug damals 14 bis 16 Stunden, an sechs Tagen der Woche, nur sonntags war frei. Der Großteil wohnte in „Zinskasernen“ in den Vorstädten von Wien; pro Familie ein Zimmer, Küche und vielleicht ein Kabinett. Wasser und WC am Gang wurde mit anderen Parteien geteilt. Die Wohnungen waren überbelegt, meist lebten ja auch noch vier bis fünf Kinder im Haushalt. Die Säuglingssterblichkeit war hoch, es gab Epidemien.
Muße und Freizeit kannte der durchschnittliche Arbeiter also kaum. Es gab wohl zahlreiche Arbeitervereine, Bildungsvereine und Gewerkschaften, die für den Achtstunden-Tag und das allgemeine und freie Wahlrecht kämpften. Erst sechs Jahre vor der Gründung der NaturFreunde hatte sich im niederösterreichischen Hainfeld die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gegründet, in deren Arbeiter-Zeitung Schmiedl annoncierte.
Die Mitgründer der NaturFreunde waren gut ausgebildete Facharbeiter – sowie der Student Karl Renner (später mehr zu ihm). Sie waren durchweg begeisterte Sozialisten, die verstanden, dass der Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse nur über Bildung und Organisation zu erreichen war.
Zum Vereinsprogramm gehörten daher von Beginn an wöchentliche Vorträge über naturkundliche, naturwissenschaftliche und politische Themen. Unter den Zuhörer*innen befanden sich auch viele Frauen. Wöchentliche Ausflüge hatten die Umgebung von Wien – oder später der jeweiligen Ortsgruppe – zum Ziel, es stand ja nur der Sonntag zur Verfügung. In andere Bundesländer kam man kaum.
Mit heutigen Worten würde man die damaligen NaturFreunde als eine Art politischer Selbsthilfeverein bezeichnen. Sie organisierten ihre Ausbildung in Lokalen, wo es keinen Konsumationszwang gab und bei den Bergwanderungen führten sich die Mitglieder gegenseitig.
Als die NaturFreunde ab dem Jahr 1898 eigene Sonderzüge organisierten, brachen sie auch das weitgehend bürgerliche Privileg des Bahnfahrens. Arbeiter reisten zwar auch, aber zu Fuß, wenn sie auf der Walz waren.
Auch für die Kinder wurde gesorgt: Ab dem Jahr 1905 wurden Märchenvorlesungen und Kinderwanderungen organisiert. Wobei der Verein für die Verpflegung der Kinder aufkam und so praktisch Kindergärten einführte.
Aber selbst beim Wandern kam man in Konflikt mit zumeist adeligen Großgrundbesitzern. Die fanden es unerhört, wenn „Habenichtse“ auf ihrem Grund und Boden ihre Freizeit genossen. Nicht selten wurde von der Jagdwaffe Gebrauch gemacht oder gar die Gendarmerie bemüht, um „derartige Elemente“ fernzuhalten.
Schon 1900 begannen NaturFreund*innen sich gegenseitig mit „Berg frei!“ zu begrüßen. Ab 1906 führten sie ihre erste politische Kampagne unter dem Slogan „Der verbotene Weg“ durch, welche dann auch von den sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament unterstützt wurde. Der Kampf für ein freies Wegerecht im Wald sowie im Bergland war erfolgreich.
Einer der Gründer, Karl Renner, begleitete die NaturFreunde-Bewegung als Abgeordneter, dann am Beginn der Republik als Staatskanzler und nach dem Zweiten Weltkrieg auch als Bundespräsident von Österreich. Er war der ideologische Vater des Sozialen Wanderns, auch wenn dieser Begriff erst später geprägt werden sollte.
Zur Eröffnung des ersten Naturfreundehauses am Padasterjoch im Jahre 1907 erklärte er, dass das bewusste Wandern es erlaube, die gesellschaftliche und politische Entwicklung gemeinsam zu erleben und analysieren. So schärfe es das Bewusstsein dafür, dass alles Menschenwerk letztendlich das Resultat des Arbeitens sei und stärke die Solidarität unter den Arbeitern.
Renner damals abschließend: „Wenn Sie hinauseilen in die Natur, wenn Sie wieder heraufkommen in dieses Haus, erinnern Sie sich daran, was wir wollen, vergessen Sie nicht, was die Aufgabe der Menschheit ist. Und es wird nicht nur ein ‚Berg frei!‘ sein in unserer Zukunft, sondern ein ‚Welt frei!‘“.
Manfred Pils
Präsident der NaturFreunde Internationale (NFI)
Den Artikel finden Sie im Original auf der Homepage der NaturFreunde Deutschlands.