Der ganze Tillen-Berg hallt wieder von lautem Klopfen und Hämmern, doch weit und breit ist keine Menschenseele zu erblicken. Woher kommen diese geheimnisvollen Laute?
In Neualbenreuth, einem schmucken Kirchdorf am Fuße des Tillen-Berges, finden die erregten Gemüter keine Ruhe und das Tuscheln, Munkeln und Flüstern will kein Ende nehmen: Von fremdartig gekleideten „Männlein“ erzählt man sich, die nicht größer als fünf Fuß hoch wären und an einem Sommermorgen so mir nichts dir nichts vor den Hütten der Dorfbewohner standen. Ihre schlanke Gestalt umhüllte ein großzügig geschnittener Rock aus feinstem blauen Tuch, dessen weite brokatbesetzte Ärmel besonders auffielen. Ein eng anliegendes, Gold besticktes Wams, daß Ihnen fast bis an die Knie reichte, kleidete sie vortrefflich und verlieh Ihnen ein gar vornehmes Aussehen. Darunter lugten orangefarbene Beinkleider hervor und die feingewirkten Strümpfe glänzten in hellstem Weiß. Der kecke Dreispitz über ihren schmalen Gesichtern und ein seidenes Halstuch vervollständigen den prächtigen Aufzug. Jedes der „Männlein“ stürzte sich auf einen, mit goldenem Knauf verzierten Knopfstock, und es schien, als ob er Ihnen unentbehrlich wäre. Ihr ganzes Hab und Gut bestand aus einem Hämmerchen und einem Büchlein, das sie niemals einem Fremden überließen. Mit diesem Büchlein hat es seine besondere Bewandtnis. In ihm waren jene Orte genau beschrieben, an denen es Schätze zu finden galt und außerdem standen orakelhafte Zaubersprüche darin, die nur von den „Männlein“ selbst entziffert werden konnten. Es bereitete Ihnen höchstens Vergnügen, verborgene Kostbarkeiten aufzuspüren und nach erlesenen Waren zu stöbern.
Die Neualbenreuther konnten ihre Neugier über die Herkunft und das Begehren dieser Fremdlinge nicht länger bezähmen und so fragten sie treuherzig und ohne Umschweife. „Unsere Heimatstadt Venedig liegt Tausende von Meilen gen Süden und wir sind dort große Kaufleute. Unser Zauberbüchlein wies uns den Weg hierher; denn im Tillen-Berg liegen ungeheure Schätze verborgen.“ So erzählten die „Venetianer“ und dabei wußten sie die beschriebenen Stellen am Berg so genau zu benennen, daß ein jeder glaubte, sie wären schon oben gestanden. Sie brauchten auch keine langen Überredungskünste, um die gutwilligen Dorfbewohner als Führer zu gewinnen. Ein leichter Fußmarsch brachte das seltsame Völkchen ihrem Ziel näher; bis es, die steile Anhöhe erklimmend mit seinem fachkundigen Begleitern die fündigen Stellen erreicht hatte.
Potzblitz! Die „Männlein“ verschwanden mit einem Schlage und keine Spur blieb von Ihnen zurück. Sosehr auch die Neualbenreuther ihre Augen anstrengten, sie waren und blieben wie vom Erdboden verschluckt. Da ertönte aus dem Inneren des Gesteins kräftiges Hämmern und Klopfen, durch das die „Venetianer“ ihr unsichtbares Dasein verrieten. Mit einemmal erkannten die Dorfbewohner, daß sie sich mit ausgekochten Hexenmeistern eingelassen hatten. Was ihnen jedoch verborgen blieb, war die Tatsache, daß die Männlein ihr Handwerk ausgezeichnet verstanden und reichlich Gold und Silber aus dem Fels schlugen. Auch blieb ihnen verborgen, wie sie den Tillen-Berg wieder verließen: Hatten die „Venetianer“ genug Edelsteine erbeutet, so zogen sie mit ihren Stöcken einen magischen Kreis durch die Luft und setzten sich mit ihren Schätzen auf den Wind, der sie nach Venedig trug. Dort prunkten sie mit ihrem erworbenen Gut und schließen sich gebührend feiern.
Zu dieser Zeit gelangte eines der „Männlein“ zu einer abseits vom Dorf gelegenen Hütte, in der ein armer Mann hauste. Er hatte aber das Herz auf dem rechten Fleck. Als er den „Venetianer“ in seinem malerischen Aufzug vor sich sah, verschlug es ihm die Sprache, denn in seinem ganzen Leben war ihm keine so vornehm gewandte Gestalt begegnet.
Das Männlein bat ihn inständig, wobei es auf sein Büchlein zeigte: „Guter Mann, führe mich zum Tillen-Berg und zeige mir die Stelle, die ich dir beschreiben werde.“ Dem Alten schien die Sache nicht recht geheuer, und er machte ein bedenkliches Gesicht. Es wiederholt aber lautstark seine Bitte und fuchtelte mit dem langen Knopfstock durch die Luft, bis der arme Schlucker einwilligte und den „Venetianer“ fürsorglich über Stock und Stein an den vereinbarten Ort brachte. Dabei spuktem ihm tausenderlei Dinge durch den Kopf, was es im Berg wohl zu erbeuten gäbe und er bat das Männlein, ihm von seinem zukünftigen Reichtum etwas abzugeben. Es lachte geheimnisvoll und erwiderte: „Weil du mich so gut geführt hast, will ich dich dafür reich belohnen. Geh zum Pfarrbühl und grabe unter der mächtigsten Fichte drei Fuß tief und du wirst finden, was dein Herz begehrt!“ Kaum hatte es ausgeredet, da verschwand es lautlos auf Nimmerwiedersehen.
Verdutzt schaute der Neualbenreuth um sich, dann sah er hinter jeden Baum und zu guter Letzt musste er feststellen, daß er sich mutterseelenallein im Tannenwald befand. Das Sprüchlein vom „Venetianer“ hatte er noch frisch im Ohr, und er war neugierig darauf, es auszuprobieren. So schnell ihm seine alten Beine trugen lief er den Berg hinab seinem Hüttlein zu, wo er sich mit den nötigen Werkzeug ausrüstete. Keuchend stand er endlich am Pfarrbühl und hielt Ausschau nach der höchsten Fichte. Ganz in seiner Nähe stand ein prächtiger Baum von selten hohem Wuchs, der ihn gleich in’s Auge Fiel. An seinem dicken, kerzengeraden Stamm hingen dicht an dicht schwere ausladende Äste, die beinahe den Waldboden berührten. „Hier will ich mein Glück versuchen“ murmelte er uns stach mit dem Spaten zu. Schaufel um Schaufel voll dunkler Erde häufte er neben sich auf, bis er auf etwas Hartes stieß. Nach und nach kam ein riesiger Topf zum Vorschein, den er mit viel Mühe und Anstrengung an’s Tageslicht befördert. In seinem bauchigen Inneren befanden sich viele tausend Goldstücke und als er anfing sie zu zählen, liefen ihm Freudentränen über seine Backen.
Nun hatte alle Not ein Ende und der reichgewordene Neualbenreuther hielt das Andenken an das „Männlein“ in Ehren, solange er lebte.